Extrusion 5-2021

Kunststoffe werden in der Regel bei deutlich über 100 °C verarbei- tet, Enzyme dagegen halten diesen hohen Temperaturen üblicherweise nicht stand. Forschenden am Fraunhofer- Institut für Angewandte Polymer- forschung IAP ist es gelungen, diese Gegensätze zusammenzu- bringen: Sie können Enzyme in Kunststoffe einbauen, ohne dass die Enzyme dabei ihre Aktivität verlieren. Die Potenziale, die sich dadurch ergeben, sind groß. M aterialien, die sich selbst reinigen, die Anti-Schimmel- Oberflächen besitzen oder sich sogar selbst abbauen kön- nen, sind nur einige Beispiele dafür, was möglich wird, wenn es gelingt, aktive Enzyme in Kunststoffe einzubinden. Doch damit die enzymspezifischen Eigenschaften auf die Materialien über- tragen werden können, dürfen die Enzyme beim Einbau in den Kunststoff nicht geschädigt werden. Wissenschaftler*innen am Fraunhofer IAP haben hierfür im Rahmen des Projekts “Bio- funktionalisierung/Biologisierung von Polymermaterialien Bio- Pol” eine Lösung entwickelt. Seit Sommer 2018 läuft das Pro- jekt in Kooperation mit der BTU Cottbus-Senftenberg. Geför- dert wird es vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. “Dass es uns nicht um die Produktion von biofunktionalisierten Kunststoffen im Labormaßstab geht, war von Anfang an klar. Wir wollten direkt groß einsteigen, um zu zeigen, dass die tech- nische Herstellung möglich ist.” So fasst Dr. Ruben R. Rosen- crantz, Leiter der Abteilung “Biofunktionalisierte Materialien und (Glyko)Biotechnologie” am Fraunhofer IAP, die ambitio- nierten Ziele des Projekts zusammen. Schon jetzt, nachdem un- gefähr die Hälfte der Laufzeit vorbei ist, zeigen sich große Erfol- ge: Mit Blick sowohl auf die Enzyme selbst als auch auf den Ver- arbeitungsprozess ist die Einbindung von Enzymen gelungen. Höhere Temperaturstabilität durch anorganische Träger Die Suche nach einer Möglichkeit, die Enzyme zu stabilisieren, führte die Forschenden zu einer Verwendung von anorgani- schen Trägern. Diese stellen eine Art Schutzrüstung für das En- zym dar, erklärt Rosencrantz: “Wir verwenden beispielsweise anorganische Partikel, die sehr porös sind. Die Enzyme binden an diese Träger, indem sie sich in die Poren einlagern. Auch wenn dadurch die Beweglichkeit der Enzyme eingeschränkt ist, bleiben sie weiterhin aktiv und halten deutlich höheren Tempe- raturen stand.” Rosencrantz betont jedoch, es gebe keinen all- 26 Biofunktionalisierte Materialien – Aus der Forschung Extrusion 5/2021 Enzyme erfolgreich in Kunststoffe einbinden gemein gültigen Stabilisierungsprozess: “Jedes Enzym ist an- ders. Welcher Träger und welche Technologie für dessen Bela- dung am geeignetsten ist, bleibt enzymabhängig.” Stabilisierte Enzyme: nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Inneren von Kunststoffen Die Forschenden suchten bewusst nach einer Möglichkeit, die stabilisierten Enzyme nicht nur auf der Oberfläche des Kunst- stoffes aufzutragen, sondern sie direkt in den Kunststoff einzu- arbeiten. “Dies ist zwar deutlich schwieriger, aber so können auch Abnutzungserscheinungen an der Materialoberfläche der Funktionalität der Kunststoffe nichts anhaben”, erklärt Thomas Büsse, der das institutseigene Verarbeitungstechnikum für Bio- polymere in Schwarzheide leitet. Um im Weiterverarbeitungsprozess ein optimales Materialer- gebnis zu erhalten, müssen die stabilisierten Enzyme in der hei- ßen Kunststoffschmelze, der sie beigemischt werden, schnellst- möglich verteilt werden, ohne dass dabei die Krafteinwirkung oder die Temperaturen zu hoch werden. Eine Gratwanderung, mit deren Ergebnis Büsse sich zufrieden zeigt: “Wir haben ein Verfahren entwickelt, das sich sowohl für Biokunststoffe als auch für die klassischen erdölbasierten Kunststoffe wie Poly- ethylen eignet. Zusätzlich zeigen unsere Untersuchungen, dass stabilisierte Enzyme nach der Einarbeitung in den Kunststoff nochmals höheren thermischen Belastungen gewachsen sind, als sie es vor der Verarbeitung waren. Dies erleichtert den Ein- satz der Enzyme und sämtliche Prozessschritte in erheblichem Maße.” Selbstreinigende Kunststoffe sind erst der Anfang Bisher haben sich die Forschenden am Fraunhofer IAP, was die Wahl des Enzyms betrifft, vor allem mit Proteasen beschäftigt. Diese können andere Eiweiße spalten. Der mit ihnen funktiona- lisierte Kunststoff erhält dadurch eine selbstreinigende Wir- Herstellung einer biofunktionalisierten Folie im Verarbeitungstechnikum (© Fraunhofer IAP)

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